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News > Interview mit Arno Gruen: "Wichtig ist es, im Kampf zu bleiben"

Zitat derstandard.at 24. Mai 2013, 18:48

"Psychoanalytiker Arno Gruen über die Wichtigkeit, das eigene Selbst leben zu können, die Entstehung von Hass und wie in Zeiten wirtschaftlicher Not alles schlimmer wird

STANDARD: Herr Professor Gruen, Ihr Leben lang haben Sie sich mit Ihren Publikationen gegen Fremdenhass, Rechtsradikalismus und Gewalt eingesetzt. Erschüttert es Sie, an Ihrem 90. Geburtstag Zeuge eines gewaltbereiten Rassismus in Europa zu werden?

Gruen: Das Phänomen ist nicht neu. Es rührt daher, dass ein gewisser Teil der Bevölkerung eine Kindheit hatte, die markiert war von autoritärer Unterdrückung des eigenen Selbst. Solche Menschen suchen dauernd Feinde, um geistig am Leben zu bleiben. Sie bekämpfen durch den Feind das Eigene, das, wie sie gelernt haben, aus der Sicht ihrer Eltern, der Schule, des Staates oder der Kirche unerwünscht ist. Das heißt, sie hassen sich selbst für das, was ihr Eigenes ist, und projizieren diesen Hass auf andere. Am Anderen hassen sie das, was sie gelernt haben, an sich selbst zu hassen. Darum haben wir diese Feindseligkeit zu beklagen. Ob sie gegen Roma, Türken oder Juden gerichtet ist, macht keinen Unterschied.

STANDARD: Fürchten Sie angesichts des teils offenen, teils verdeckten Antisemitismus dieser Gewaltexzesse nicht eine Neuauflage nazistisch motivierter Verbrechen?

Gruen: Nicht die Ideologie treibt die Menschen dazu zu hassen. Die kommt erst später und wird nur dazu gebraucht, um den Hass zu rechtfertigen. Der Hass war vorher da. Zu fühlen, dass man nicht die Person ist, die man sein könnte, weil es nicht akzeptiert wird, erzeugt Hass. Bereits im 18. Jahrhundert verwies der englische Dichter Edward Young darauf, dass wir als Originale geboren und als Kopien sterben würden. Diese Menschen, die voll Aggressionen sind, sind Kopien, die nie sie selbst sein durften. Ihre Eltern haben ihre Originalität nicht anerkannt und sie stattdessen gezwungen, sich in etwas hineinzufügen. Kinder müssen aber, um geistig und seelisch am Leben zu bleiben, auch zu Eltern, die ihre wahre Identität nicht anerkennen, eine Bindung herstellen. Das bedeutet, dass sie sich ihren Erwartungen unterwerfen müssen und ihr eigenes Selbst nicht leben dürfen.

STANDARD: Überbewerten Sie damit nicht die Wirkung von frühkindlichen Erfahrungen? Kann die Vielzahl an Einflüssen, der man im Laufe seines Lebens ausgesetzt ist, nicht ebenfalls prägend wirken?

Gruen: Ich rede hier von etwas, das wir im Allgemeinen politisch nicht anerkennen möchten, und das ist die Bedeutung einer liebevollen und auf die Bedürfnisse des Kindes eingehenden Zuwendung. Das fängt bereits in den Tagen nach der Geburt an. Im ersten Lebensjahr werden die Weichen gestellt. Falsche Weichenstellung ist die Ursache, dass so viele Bewegungen in der Welt in Richtung Totalitarismus und autoritäre politische Strukturen zielen. Menschen, die als Kind unterdrückt wurden, verwandeln das, was geschehen ist, ins Gegenteil, um seelisch überleben zu können. Es vollzieht sich in ihrer Seele eine eigenartige Umkehr. Sie werden zum Komplizen ihrer Peiniger und fangen an, den, der sie unterdrückt und terrorisiert, zu idealisieren. Diese Erkenntnis veranlasste Proust, über den Mut zu staunen, in einer Welt zu leben, in der die Liebe durch eine Lüge provoziert werde, weil sie aus dem Bedürfnis bestehe, unsere Leiden von denen mildern zu lassen, die uns zum Leiden gebracht hätten. Das setzt sich fort bis ins Erwachsenenalter. Autoritär erzogene Menschen haben Angst vor lebendigen und offenen Entwicklungen. Sie suchen die Welt in ein Zwangsmodell zu pressen [...]"

Das gesamte Interview finden Sie unter dem nachfolgenden Link:

http://derstandard.at/1369361611395/Wichtig-ist-es-im-Kampf-...
Quelle: Adelbert Reif/DER STANDARD, 25./26. 5. 2013
von Arno Gruen
Gebundene Ausgabe
Ausgabe: 1., Aufl.
Verlag: Klett-Cotta
Erscheinungsjahr: 2013
ISBN: 3608947469


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